Mit dem Velo nach Santiago - Ruth und Werni

Direkt zum Seiteninhalt

Mit dem Velo nach Santiago

Jakobsweg
In 33 Tagen von Le Puy en Velay nach Santiago de Compostela

Den Jakobsweg nach Santiago de Compostela aus eigener Kraft, mit Sack und Pack zu fahren ist schon lange unser Wunsch. Ende Mai  starten wir mit unseren Tourenvelos in Le Puy-en-Velay, im französischen Zentralmassiv. Wir fahren nicht auf dem eigentlichen Pilgerweg, den überlassen wir mit grossem Respekt den Fusspilgern. Wir wählen aber eine Route, welche auf Nebenstrassen parallel zum Jakobsweg Via Podiensis und Camino Francés führt. So sehen wir alle Orte, Kirchen und Sehenswürdigkeiten dieses Weges.
Wir durchqueren das Zentralmassiv mit den vielen schönen Alpweiden, wo sogar Narzissen blühen und wir uns fast die Finger abfrieren. Es ist sehr hügelig. Die einzige ebene Etappe ist die wunderbare Fahrt dem Lot entlang zwischen Espalion und Cahors. Durch das hügelige Baskenland erreichen wir St. Jean-Pied-du-Port am Fusse der Pyrenäen.
Die Überquerung der Pyrenäen ist leichter als wir es uns vorgestellt haben. Den Ibañeta-Pass schaffen wir mit unseren schwer bepackten Velos ohne zu schieben. Wir durchfahren die  spanische Provinz Navarra mit der lebendigen Hauptstadt Pamplona und den vielen Kornfeldern welche bis auf die Hügel hinauf angelegt sind. In der fruchtbaren Wein-Region La Rioja geniessen wir die schöne Landschaft und den Vino tinto. Wir haben uns schon so an das  einsame Radeln gewöhnt, dass es uns in den grossen Städten Burgos und León viel zu viele Leute hat. Wegen der imposanten Kathedralen sind diese Städte aber trotzdem ein Besuch wert. Hinter Astorga kommen wir nochmals richtig in die Berge. Die vielen kleinen Steindörfer, die atemberaubenden Ausblicke von den Pässen, aber auch die Gewissheit, das Ziel bald zu erreichen, sind die Höhepunkte dieses Abschnittes. Die letzten 100 Kilometer durch Galicien geniessen wir besonders. Es ist warmes Wetter, es bläst kein Wind und die Hügel, na ja, an die haben wir uns mittlerweile gewöhnt.
Nach 1’544 Kilometern mit  über sechzehntausend Höhenmetern fahren wir am 32. Tag in Santiago de Compostela auf den Prazza do Obradorio, direkt vor die Kathedrale. Ein überwältigender Eindruck! Es ist ein tolles Gefühl, dies aus eigener Kraft geschafft zu haben.  Wir sind aber auch dankbar, dass wir gesund sind und so eine Tour gemeinsam zu Ende führen können. Wir teilen dieses unbeschreibliche Gefühl mit vielen anderen Fuss- und Velopilgern, welche heute ebenfalls ankommen. Santiago ist eine wunderbare, lebendige Stadt mit einer faszinierenden Kathedrale. Obwohl auch hier sehr viele Leute auf der Gasse sind, stört uns das gar nicht. Diese Stadt ist nämlich voller gleich gesinnter Freunde, welche wir vom Weg her kennen.

Highlights

Ave Maria
Am ersten Abend unserer Reise sind wir in Le Puy-en-Velay und besuchen die Kathedrale. Ein baskischer Männerchor aus Biarritz gibt gerade ein Konzert. Das Thema dieses Konzertes heisst „sur les chemins de compostel“. Der geistliche Gesang kommt in dieser schönen Kathedrale mit seiner perfekten Akustik so wunderbar zum Ausdruck, dass es uns beim Ave Maria kalt den Rücken hinunter läuft. Das ist eine wirklich feierliche Einstimmung zu unserer bevorstehenden Reise und wir bleiben bis zum Schluss des Konzertes.

S’Guggerzytli
In Saugues übernachten wir in einer privaten Gîte. Um 20 Uhr sitzen alle 16 hier einquartierten Pilger mit der Familie des Hauses am langen Tisch. Die Madame hat wunderbar gekocht. Sie tischt Suppe, Vorspeise, Hauptgang Früchte und Käse auf. Dazu gibt es Wein à discretion. Es herrscht ein Sprachengewirr zwischen Deutsch, Englisch und Französisch. Das Thema ist natürlich der Weg. Wo bist du gestartet, was ist dein Ziel, was hast du erlebt, das sind die häufigsten Fragen. Je später der Abend umso besser verstehen wir uns. Jemand kommt auf die Idee, dass jedes Land ein Lied singen soll. So kommen wir in den Genuss von französischen, deutschen, und irischen Volksliedern. Am Schluss singen Ruth und ich für die Schweiz das Guggerzytli zweistimmig und fast perfekt. Beim Refrain singen alle mit und wir haben es lustig. Noch am anderen Morgen beim Frühstück werden wir mit GuGu, GuGu, begrüsst.

Die Wunder des Jakobsweges
Zwischen Logroño und Santo Domingo de la Calzada umfahren wir die grossen Autostrassen. Unser Weg geht dem Rio Ebro entlang, über el Cortijo durch die Weinberge. Irgendwo zwischen Fluss und Bahnlinie verfahren wir uns derart, dass nur noch holperige Naturstrassen über die Berge weiterführen. Das kann ja wohl nicht unser Weg sein. Wie müssen wir nur weiter durch diese verlassene Gegend? Weit und breit keine Häuser, weit und breit keine Zivilisation.  Wir suchen in alle Richtungen, und plötzlich sehen wir  zwei alte Männer die einfach hier am Wegrand sitzen. Kein Mensch weiss wie sie hierher gekommen sind, kein Mensch weiss wie sie je wieder nach Hause kommen. Sie sitzen einfach da und weisen uns mit ihrem Stock und vielen spanischen Vokabeln wieder auf den richtigen Weg. Seit heute glaube auch ich an die Wunder des Jakobsweges.

Begegnungen
Das Spezielle am Jakobsweg sind die Begegnungen mit vielen interessanten Menschen. Alle haben dasselbe Ziel, und das gibt immer schnell Kontakt und Gesprächsstoff. Vor den Fusspilgern haben wir eine besondere Ehrfurcht. Sie leisten mit ihrem Gepäck am Rücken noch mehr als wir Velofahrer. So treffen wir den Genfer, der jeweils morgens um 6 Uhr startet weil er 40 bis 50 Kilometer zu Fuss schaffen will; das österreichische Ehepaar, welches jedes Jahr vier Wochen unterwegs ist und ausgerechnet in diesem verregneten Jahr den Schirm zuhause gelassen hat; oder Marcel und Reto die zwei Schweizer die vor drei Monaten in Biel und Solothurn gestartet sind; aber auch den „Original-Pilger“ vom Bodensee, welcher jeweils wild im Zelt übernachtet und sich nur eine Herberge gönnt, wenn er sich wieder einmal waschen muss.
Die Radpilger treffen wir immer wieder, weil sie alle einen ähnlichen Takt haben wie wir. Zu diesen Bekanntschaften gehören neben vielen anderen zwei Holländer, sie kommen mir vor wie Don Quxote und Sancho Panza. Einer beklagt sich immer über die „cheftichen Berchen“. Oder die junge Holländerin mit ihrem Dreigänger mit dem Einradanhänger. Das Gespann ist so schwer, das sie oft schieben muss. Auch sie zeltet immer wild und wenn es stark regnet fährt sich nicht weiter. Am häufigsten treffen wir Uta und Mike, das Hamburger Ehepaar. Ohne uns abzusprechen begegnen wir uns zwischen dem Ibañeta-Pass und Santiago immer wieder. Wir werden gute Freunde, essen oft gemeinsam und feiern ihren zweitausendsten Kilometer oder unseren fünfzehntausendsten Höhenmeter. In Santiago treffen wir zufällig in der gleichen halben Stunde auf dem Kathedralenplatz ein. Das feiern wir mit Champagner und einem guten Nachtessen.         




Zurück zum Seiteninhalt